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Betrachtungen
von
Dr. H. Druskowitz.
Heidelberg.
Georg Weiß, Verlag.
1888.
Unter neuer Lehre möchten wir eine Weltanschauungverstanden wissen, welche – ihre Möglichkeit vorausgesetzt– einen zuverlässigeren und vollkommeneren Inhalt anStelle des Gottes- und Unsterblichkeitsglaubens setzt. Neuwürde die Lehre im Gegensatz zur Religion, als der altenLehre, genannt zu werden verdienen, indem ihr Inhalt sichaus gewissen höchsten Ergebnissen der modernen Philosophieund Naturwissenschaft aufbauen wird.
Bisher sind diese Ergebnisse noch von keinem Philosophenderart verwerthet worden, daß eine allgemeingiltigeabgeschlossene neue Lehre bereits geschaffen wäre. Esexistiren vielmehr nur einige mehr oder weniger unvollkommeneVersuche, eine solche zu begründen. Möge manauch den Inhalt dieser Seiten nur als einen Beitrag zurneuen Lehre betrachten, die bis jetzt noch ein Ideal ist,und wohl nur ganz allmälig aus der Denkarbeit Vielersich herauskrystallisiren wird. Verfasser ist sich vollkommenbewußt, nur seinen persönlichen Anschauungen über dieLösung eines der wichtigsten Probleme Ausdruck zu geben,in der Hoffnung jedoch, daß dieselben bei Anderen Widerhallfinden mögen.
Gewiß ist eine neue Lehre oder Weltanschauung nochlange kein Gesammtbedürfniß.
Da ist vor Allem die große Masse derer, für welchedas Christenthum oder auch nur der bloße Gottesglaubeein Gegenstand des Gemüthsbedürfnisses ist. Diese befindensich noch in der mythologischen Geistesphase. Es isteine Forderung ihrer geistigen Beschaffenheit, den Weltgrund– um nur den wichtigsten Zug jeder Religion hervorzuheben– als persönliche Macht zu denken, an deren objektiveExistenz sie glauben. Denn ganz offenbar ist dieReligion der Ausfluß und Ausdruck einer bestimmten,primitiven geistigen Veranlagung und deßhalb eine nochlange nicht überwundene innere Potenz. Da eine kritischePhilosophie uns jedoch lehrt, eine nähere Bestimmungdes Weltgrundes sei für unsere geistige Organisation nichterreichbar, so können wir die Religion als Täuschung einesidealen Bedürfnisses der menschlichen Phantasie betrachten,nämlich des Bedürfnisses, sich über die gegebene Welt zuerheben. Auf einem Hinausgehen über die thatsächlicheWelt, in welcher Form es auch geschehe, beruht ja allehöhere geistige Thätigkeit. Die Täuschung aber, welcheder Religion zu Grunde liegt, besteht eben darin, daß einebloße Phantasieanschauung für eine reale Wahrheit gehaltenwird. Thatsächlich kann die Mehrzahl der Menschenunter den fortgeschrittensten Nationen selbst – wenn auchnur verhältnißmäßig wenig Glaubensstarke unter ihnensich befinden – sich psychologisch noch nicht über diesenIrrthum erheben, sei es in Folge eines Überwiegens derPhantasie über die Reflexion, sei es, daß die Reflexion[3]auf diesem Gebiete niemals eine Rolle bei ihnen gespielthat, ihre religiösen Instinkte niem