Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen;lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Eine Liste dervorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
BRIEFE,
DIE IHN NICHT
ERREICHTEN.
= Fünfzigste Auflage. =
Berlin.
Verlag von Gebrüder Paetel.
1903.
Alle Rechte, vornehmlich das der Übersetzung vorbehalten.
Vancouver, August 1899.
Ihr Brief hat mich unendlich erfreut – vorallem, weil er weniger traurig klingt, als ich gefürchtethatte. Es wäre mir ja beinahe beschämend,wenn Ihnen Peking ohne mich nicht ein bißchengrauer und öder erschiene, und ich möchte etwasvon Ihnen vermißt werden – aber nicht zu sehr.Es ist alles eine Frage von Nüancen, und Sie haben,vielleicht durch das jahrelange Studium alter chinesischerBrokate und Porzellane, ein merkwürdigfeines Verständnis für Nüancen, und haben genaudiejenige getroffen, die mir wohltuend seinmußte.
Haben Sie also Dank für Ihren Brief, wie fürso manches andere!
Unsere kurzen Ferien in Japan sind mit jenererschreckenden Geschwindigkeit vergangen, die denguten Zeiten nun einmal eigen ist. Ich will Ihnen6keine nachträgliche Reisebeschreibung schicken,kennen Sie doch Madame Chrysanthêmes Heimatso viel besser als ich; ich will Ihnen nur sagen,daß ich dort viel an Sie gedacht habe, denn durchalles, was Sie mir erzählt, und durch die Bücher,die Sie mir darüber geliehen, kannte ich Japanschon, als ich hinkam. Es war mir, als fände ichdort lauter alte Bekannte wieder; in den Teehausmädchen,die unsern Rickshaw-Kulis mit derselbenGrazie und Höflichkeit wie uns selbst Tee servierten,wie in den Landarbeitern, welche, hoch aufgeschürzt,oft bis an die Kniee in den sumpfigen Reisfeldernversanken und sich bei Regenwetter Strohdeckenüberbanden, deren abstehende Halmenden ihnendas Aussehen riesiger, emsiger Igel verliehen. Siealle erschienen mir wie Gestalten aus einem wohlbekanntenBilderbuch, denen man zunickt: sieh da,sieh da, da seid ihr ja alle.
Das erfreulichste Wiedersehen feierte ich aberin Japan mit den vielen Blumen, die ich daheimund anderswo als japonica oder japonicum kennengelernt hatte, und die ich nun in ihrer Heimatwiedersah, nur viel schöner und duftender; wie jaauch wahrhaft nette Menschen meist am nettestenin ihrem eigenen Hause sind.
Japan ist das erste und einzige außereuropäischeLand, in dem ich mich ankaufen und »for good«7bleiben möchte; oder vielmehr »for better forworse«, was ja ein so viel größeres Versprechenund Zeiche